Lebe lieber ungewöhnlich!
Sind sie dem einen ein Gräuel, sind sie dem anderen lustvolles Erleben. Sind sie dem einen Stillstand, sind sie dem anderen der erste Schritt zum Erfolg. Sind sie dem einen Gefängnis, sind sie dem anderen gedankenlose Freiheit: Die Rede ist von Gewohnheiten, deren Macht ich in den letzten Monaten hautnah an meinen MitbewohnerInnen, klein, groß und fellig, beobachten durfte.
Dass ich selbstverständlich bar jeglichen Gewohnheitsunsinns bin, versteht sich von selbst. Das stets nach Verwendung NICHT gereinigte Küchenutensil fällt daher nicht in diese Kategorie, sondern ist meiner Vergesslichkeit geschuldet, aber ich weiß nicht, was mir lieber ist. Ebenso der kreativ befüllte Kühlschrank - ganze 23 Jahre schon versucht mir der Gatte beizubringen, wie ein ordentlich eingeräumter Kühlschrank auszusehen hat, aber ehrlich gesagt, ist mir diese militärische Kühl-Gründlichkeit zu deutsch, zu anstrengend und im übrigen kann ich mir nicht merken, welches Lebensmittel in welche Kühlebene abzulegen ist. (Off the records sage ich Ihnen: SEINE Ordnung ist grundfalsch, ich habe es recherchiert).
Unser Sohn wiederum hat es sich zur Gewohnheit gemacht, alles, was er im Laufe eines Tages am Leibe trägt, dort abzuwerfen, wo er es nicht mehr braucht. Interessant ist dabei das an diese Routine gewöhnte Auge, das automatisch jedes am Fußboden befindliche textile Hindernis großzügig ausblendet. Oder auch das kategorische, imperative NEIN, das jedem wohlmeinenden Vorschlag für einen Ausflug, eine Variation im Speiseplan, den Hinweis auf schulische Tätigkeiten und überhaupt allem folgt. Er sagt es, weil er es immer schon gesagt hat. Es war übrigens das erste Wort, das er überhaupt jemals gesagt hat.
Der Gatte, Verfechter der „Clean desk“-Philosophie und Ordnungsmonk (er sagt KAIZEN als kontinuierlicher Verbesserungsprozess wider dem Gattinnenchaos dazu), latscht paradoxerweise stets mit Strassenschuhen durch die frisch geputzte Wohnung. Täglich klagt er über die seiner Meinung nach seit zwei Jahren tote Kirschlorbeerhecke, während selbige spriesst und austreibt und sich nach Kräften gegen die bevorstehende Guillotinierung im nächsten Herbst wehrt. Vielleicht steht diese Wirklichkeitsverzerrung aber auch mit der jahrelangen Koffeinroutine in Zusammenhang, die mein Mann trotz Schlaflosigkeit seiner eigentümlichen Tradition gemäß durchzieht: Wobei er doch, das muss man anerkennen, willens ist, sie - geringfügig - zu adaptieren:
- „Ist koffeinfreier Kaffee eigentlich ungesund?“
- „Warum? Wieviele hast denn getrunken?“
- „2 normale und drei koffeinfreie.“
Es ist 8.37 h
Wir brauchen unsere Routinen. Sie geben uns Halt und Sicherheit, ein Korsett, in das wir uns und damit auch andere hineinzwängen. Bevor es uns aber die Luft zum Atmen nimmt, wäre es gesund zu erkennen, welche Gewohnheiten wir eigentlich haben, welche wir behalten, verwerfen und welche wir uns für unsere Entwicklung neu angewöhnen sollten. Das Lamento der Familie („warum hast Du schon wieder/nicht … “) ist dabei nicht nur sinn-, sondern im besonderen Maße ergebnislos. Was wir brauchen, ist der Blick von außen. Zum Beispiel von wohlmeinenden Freunden (die bisweilen besten Therapeuten), die uns mögen, obwohl sie uns kennen. Und die wir jetzt endlich wieder in die Arme schließen können.
Meine nächste Gelegenheit dafür ist der 2. Juli 2020, beim FROHLOTTE-Homeshopping. Ich freu’ mich drauf!
Es ist schwierig, Mammuts zu jagen, wenn du dein Leben lang nur hinter Fliegen her warst.
(Pavel Kosorin)