Märklin oder wie ich lernte, Modelleisenbahnen zu hassen

Liebe Ehemänner und -frauen da draußen! Die Geschichten aus der Reihe “Das (Ehe)Leben ist kein Ponyschlecken” sind eine Liebeserklärung an Euch und Eure skurrilen Marotten. Denn es sind die Brüche in Euren Persönlichkeiten, Eure unvorhersehbaren Handlungen und oft auch unverständlichen Worte, die unserem Alltags(Ehe)grau Farbe verleihen. Wir lieben Euch trotzdem oder vielleicht sogar deshalb. Und umgekehrt - hoffen wir - ist es genauso. 

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Prolog:

Bahn frei für Leo! Lotti dampft derweil nach Cornwall ab.

Die Kinder werden ja so schnell groß! Dieser Tage wird Leo 12. Aus diesem Anlass kramt Lotti in der häuslichen Marottenkiste und findet eine Geschichte, die das Wesen ihres Sohnes perfekt einfängt. In den vergangenen 5 Jahren veränderte sich zwar sein Geburtstagswunsch von haptisch (Modelleisenbahn) zu virtuell (Fortnite), nicht allerdings die Penetranz, mit der das Objekt der Begierde eingefordert wird. Was Lottis Körpergröße dabei mit eiligst angebotener Nahrung und die gepflegte Belletristik mit Cornwall zu tun hat, lest Ihr in dieser Geschichte:

Märklin, oder wie ich lernte, Modelleisenbahnen zu hassen

Lesezeit: 2 Min

Unser Sohn ist sieben Jahre alt und ein eindeutiger Holzer: Seine Begeisterungsfähigkeit grenzt haarscharf an Penetranz, sein Mitteilungsbedürfnis ist überdurchschnittlich, sein Aktivierungsgrad ist hoch. Er ist das komplette Ebenbild meines Mannes, ein Mini-Me, das sich nur durch die Länge seiner Beine unterscheidet. Ich liebe sie beide, von ganzem Herzen, aber manchmal ist mir die energetische Phalanx, der ich gegenüberstehe, einfach zu viel. Denn da muss am Wochenende frühmorgens Eishockey gespielt, danach Fußball gespielt, dazwischen Lego gebaut und am nächsten Tag, sonntags, ebenfalls frühmorgens, Ski gefahren werden, danach wieder ein wenig Fußball und dazwischen Text. Viel Text. 

Oft frage ich mich, warum ich mich abends, statt wie früher der gepflegten Belletristik, nun Soko Donau hingebe oder einer anderen schwachsinnigen Eigenproduktion des ORF. Das wäre meinem Mann auch schon aufgefallen, sagt er, „Lotti, früher warst du eindeutig intellektueller, ich wünsche dir, dass du wieder dorthin zurückfindest.“ 

Energie, um mich darüber aufzuregen, habe ich ab 20 Uhr nicht mehr. Hauptsache, ich muss nicht mehr zuhören, mitdenken, entgegnen, anweisen, argumentieren oder trösten. Deshalb also Soko Donau, während mein Mann mich auf die Stirn küsst und sagt: „Gute Nacht, ich geh’ lesen.“ Ich werte diesen Satz als Angriff gegen mich, eindeutig ist das einer, wird er doch von dem Mann gesprochen, der zwölf Stunden am Tag vor Menschen steht, sie unterhält, ihnen was beibringt, sich ihre Geschichten anhört und High Potentials entwickelt. Da müsste doch ER im Hirn schon völlig gaga sein, nicht ich. Sie sehen an diesem Beispiel, womit ich es zu tun habe: Übermenschliches Energiepotenzial. Da Schritt zu halten ist eindeutig unmöglich.

Zurück zum Mini-me: Das Christkind hat heuer unvorsichtigerweise eine Modelleisenbahn gebracht. Die Wahl fiel auf Märklin, wofür ich dem Christkind unendlich dankbar bin, denn mein Sohn hätte sich eigentlich eine von Playmobil gewünscht. Dafür hätten wir aber umziehen müssen, weil die Teile so groß sind. Seither hängt das große M wie ein Damoklesschwert über mir. Es beginnt beim Aufstehen und endet beim Gutenachtkuss. Es geht darum, wie viel Geld er für wie viele Schienen braucht, welche Lok er sich zum Geburtstag wünschen soll, ob er beim Frühstück - „Bitte, Mama!“ - im Internet schnell was recherchieren darf, und um Baupläne für die Gleisanlage.

Hier kehre ich aus meinem Märklin-bedingten Dämmerschlaf schlagartig in die Gegenwart zurück. Gleisanlage? Ja, natürlich, all die Schienen brauchen ihren Platz und da hätte er schon einen guten Plan, und der Papa hat auch Ja gesagt. „Ahaaaaa“, sage ich und bekomme eine halbstündige Einführung in die Umbaupläne meines Sohnes. Er möchte die Gleise kreuz und quer in seinem Zimmer verlegen, aber „eh nicht am Boden, Mama!“, sondern er misst mich ab, um herauszufinden, wie hoch die Brückenpfeiler sein müssen, damit ich mir nicht den Kopf stoße. Das ist natürlich sehr aufmerksam, aber als er den Schattenbahnhof wenige Zentimeter entfernt von seinem Kleiderschrank platzieren will, ist es mit meiner Geduld und Aufnahmefähigkeit zu Ende. 

Ganz uncoole Mama zeige ich ihm, dass er mit der einzubauenden Miniaturwelt weder seinen Kleiderschrank öffnen, noch seine Bücher aus dem Regal nehmen, geschweige denn an seinem Schreibtisch sitzen kann. Es gibt Tränen und ich fühle mich schlecht. Sehr schlecht. In solchen Situationen pflege ich abrupt von etwas anderem zu sprechen, Nahrung anzubieten und zu hoffen, dass die kommende Nacht das Thema von selbst erledigen wird. 

Doch der neue Tag bringt wenig überraschend kein neues Thema, sondern eine weitere Facette der Modellbauwelt. Am Weg in die Schule erfahre ich, dass er eine neue, tolle Idee für sein Platzproblem habe: Heute Nachmittag wolle er mir beweisen, dass das Wohnzimmer hervorragend für seine Eisenbahn geeignet sei und zwar mit Hilfe einer vom Plafond herabsenkbaren Platte. Ich beschließe, mir einen vormittäglichen Power Nap zu gönnen und freue mich auf 20.15 Uhr: Da entführt mich Rosamunde Pilcher weit, weit weg nach Cornwall.


Ihr habt auch so einen Berti/Lotti/Leo zu Hause? Oder seid es selbst? Schreibt mir, gerne veröffentliche ich Eure skurrile Liebeserklärung hier in FROHLOTTE’s Alltagsperlen!

karin.holzer@sternschanze.at


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