Wer braucht schon den Jakobsweg?
Liebe Ehemänner und -frauen da draußen! Die Geschichten aus der Reihe “Das (Ehe)Leben ist kein Ponyschlecken” sind eine Liebeserklärung an Euch und Eure skurrilen Marotten. Denn es sind die Brüche in Euren Persönlichkeiten, Eure unvorhersehbaren Handlungen und oft auch unverständlichen Worte, die unserem Alltags(Ehe)grau Farbe verleihen. Wir lieben Euch trotzdem oder vielleicht sogar deshalb. Und umgekehrt - hoffen wir - ist es genauso.
Prolog:
Nun sind wir im letzten Jahr alle zu professionellen SpaziergängerInnen MUtiert und der eine oder die andere MOniert, bereits jedes Haus, jeden Stein und jeden anderen, entgegen kommenden SpaziergängerIn auswendig zu kennen. Ja, das ist fad, aber seid Euch gewiß, so achtsam habt Ihr den Wegesrand noch nie unter die Lupe genommen!
Berti tut das gerade auch wieder, zieht dabei aber vorzugsweise größere Kreise. Noch vor dem Lockdown entbrannte er für das Weitwandern, das er mehrmals im Jahr zelebriert. Er suchte den Sinn am Weg. Und fand einen Wolf im Schritt:
Wer braucht schon den Jakobsweg?
Lesezeit: 2 Min
Nähern sich Männer ihrer Lebensmitte, kommen sie mitunter auf im wahrsten Sinne des Wortes abenteuerliche Ideen, um der Lebens- und Sinnkrise zu entkommen. Das klingt jetzt nach Stereotyp und ist politisch unkorrekt, weil ohne Binnen-I, aber meine Erfahrung und die nicht mehr ganz so jungen Männer in meinem Umfeld zeigen mir, dass da was Wahres dran ist. Also, dass es wahr ist.
Machte sich die Midlife Crisis einst in Form von Investitionen in Sportwägen und Scheidungen mit oder ohne Familienneugründung bemerkbar, ist sie heute um eine wesentliche Konsum-Facette reicher: Das Outdoor-Equipment, das Mann auf der Reise zu sich selbst - in Form eines Umweges über den Jakobsweg oder wahlweise auf den „Kili“ - unterstützen soll.
Mein Mann hadert ebenso mit dem Sinn des Lebens. Er sucht ihn aber familienfreundlich weder in der Höhe noch in der Tiefe, noch sucht er DAS Weite, er sucht ihn IN der Weite. Und zwar in der Waldviertler Weite, und dazu kann man nur uneingeschränkt „JA!" sagen. Zumal das dafür benötigte Outdoor-Equipment überschaubar ist. Oder eben nicht, aber dazu später.
Als Weggefährten hat er seinen Urologen auserkoren, der uns im Laufe der Jahre zu einem guten Bekannten geworden ist. Jedenfalls kann es nicht von Nachteil sein, in der nordösterreichischen Pampa einen Spezialisten an seiner Seite zu wissen.
Der Vollständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass das Waldviertel selbstverständlich nur die erste Etappe des Nord-Süd-Wanderweges ist, den die beiden Herren in den nächsten Monaten zu erwandern gedenken. Im Vorfeld wurden Zuständigkeiten verteilt, der eine sollte sich ums Quartier, der andere sich um die öffentliche Anreise kümmern, doch es zeigte sich, dass der vielbeschäftigte Urologe leider keine Zeit zur Quartiersuche hatte. Es sei im Übrigen völlig unnötig, das Wetter sei ohnehin gut angesagt.
Am Tag der Abreise hatte mein Mann vormittags Termine und selbstverständlich nichts gepackt. Eine Stunde vor Aufbruch begann er also, seinen Rucksack zu füllen. Die Mitnahme eines Schlafsacks sowie einer selbstaufblasenden Matratze erschien ihm wegen des kaputten Rückens und der drohenden Übernachtung unterm Sternenhimmel angebracht.
Der fertig gepackte Rucksack wog nun mindestens 30 kg, woraufhin ich großzügig meine Hilfe anbot und ihn entleerte, um zu sehen, worauf man allenfalls verzichten konnte. Das Marschgepäck entpuppte sich als Füllhorn unfassbar vieler Dinge, die mein Mann für eine Wanderung von zweieinhalb Tagen im Waldviertel als überlebenswichtig erachtete. Hier nun die Packliste. Es beginnt harmlos:
Unterwäsche zum Wechseln
ein dicker und ein noch dickerer Pulli (Kälte im Waldviertel!)
(KEINE Regenjacke)
eine kurze Hose (aber keine Badehose - Fehler!)
ein Kilo Brot (geschnitten)
ein halbes Kilo Paprika (Vitamine!)
4 (!) Dosen Thunfisch
2 GLÄSER (!!) Oliven (griechisch)
2 Flaschen Wein (rot)
dazu 2 Stielgläser aus Plastik (für die stilvolle Jause am Wegesrand)
1 Stange Bergsteiger (500 g, vakuumverpackt)
1 Schnitte Räucherspeck (500 g, ebenso vakuumverpackt)
3 Liter Wasser
Dazu eine Kosmetiktasche von allein einem Kilo, weil randvoll mit Rasierschaum, Rasierer, Shampoo, Duschgel, Hautcreme, Nagelschere, Feile, Deo und was der Mann von Welt sonst noch auf Niederösterreichs Landstraßen braucht.
Nach meinem radikalen Eingreifen war der Rucksack immer noch eine „große Wolke“, aber die Zeit war knapp und mein Mann motiviert. Der Urologe konnte übrigens nicht mehr vor Lachen, hatte er sich selbst doch nur ein kleines Tagesrucksackerl gepackt mit etwas Wäsche und drei Müsliriegeln. Mehr brauchte er auch gar nicht, wie sich zeigte.
Der Plan war ursprünglich, von Nebelstein (dem nördlichsten Ort Österreichs) bis nach Melk zu wandern, was ambitioniert, aber aufgrund der Distanz und der einsetzenden Hüftschmerzen des Wegbegleiters völlig unrealistisch war. So ließen sich die beiden zwischendurch ein paar Kilometer transportieren (es war ein Notfall). Statt des Krankenwagens kam jedoch ein nagelneuer, schwarzer Audi A7 mit tschechischem Kennzeichen, der sie mit quietschenden Reifen, Schleudermanövern und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 160 km/h filmreif in den nächsten Ort beförderte. Anderntags spielte mein Mann die Hauptrolle in „Der sich den Wolf tanzt“, zweckentfremdete er doch aus Schamgefühl vor seinem Urologen die Unter- zur Badehose und legte die letzten zwanzig Kilometer ohne sie zurück.
Schwer angeschlagen, voller Blasen (die Socken waren frisch gewaschen und die Wanderschuhe zuvor genau ein Mal getragen) und mit Schwielen vom Marschgepäck kehrten er und sein Wolf im Schritt Sonntagabend wieder nach Hause zurück.
Bald nehmen sie die nächste Etappe in Angriff. Erkenntnisse über den Sinn des Lebens hat er übrigens keine gewonnen, dafür Einblicke in die gut ausgebaute Gastronomie in den Randlagen Österreichs. Und einen neuen, wahren Freund.
Ihr habt auch so einen Berti/Lotti/Leo zu Hause? Oder seid es selbst? Schreibt mir, gerne veröffentliche ich Eure skurrile Liebeserklärung hier in FROHLOTTE’s Alltagsperlen!
karin.holzer@sternschanze.at