Orangen bröseln nicht
Liebe Ehemänner und -frauen da draußen! Die Geschichten aus der Reihe “Das (Ehe)Leben ist kein Ponyschlecken” sind eine Liebeserklärung an Euch und Eure skurrilen Marotten. Denn es sind die Brüche in Euren Persönlichkeiten, Eure unvorhersehbaren Handlungen und oft auch unverständlichen Worte, die unserem Alltags(Ehe)grau Farbe verleihen. Wir lieben Euch trotzdem oder vielleicht sogar deshalb. Und umgekehrt - hoffen wir - ist es genauso.
Prolog:
Berti ist Hardrockfan, Benimmpapst und Ästhet. Kein Widerspruch, wie weiland Lemmy Kilmister eindrucksvoll bewiesen hat. Unermüdlich hält er seinen Sohn nicht nur dazu an, einen Musikgeschmack abseits des Mainstream zu entwickeln, er führt ihn auch mit Nachdruck in die Welt der Dos und Dont's des gesellschaftlichen Zusammenlebens ein. Warum er dennoch an der fachgerechten Zubereitung und der sozial verträglichen Art der Nahrungsaufnahme eines bestimmten Lebensmittels permanent scheitert, lest Ihr hier:
Orangen bröseln nicht
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Wir halten es, was Höflichkeit und Benehmen betrifft, mit Lemmy Kilmister von Motörhead : „Höflichkeit gibt es gratis. Ich verstehe nicht, dass nicht jeder zugreift.“ Wir greifen zu, täglich, und bringen unserem Sohn seit Jahren bei, es uns gleichzutun. Sie sehen, ich benutze das Präsens, was beabsichtigt ist, da der Prozess noch andauert. Wir legen Wert auf Grüßen auf der Straße und verlangen es ihm auch an der Haustür, beim Eintreten eines Gastes, ab, was selbstverständlicher klingt, als es ist. Sätze wie „Grüßt Du bitte auch!“, „Sagst Du bitte Danke!“, „Wartest Du bitte, bis alle am Tisch sitzen“ (bevor Du Dir ein Kilo Spaghetti auf die Gabel drehst) und „Isst Du bitte ordentlich“ haben wir schon so oft in den letzten Jahren gesagt, dass sie tiefe Spuren, Schluchten wie den Grand Canyon, aber was sage ich, den Marianengraben, in unser Gehirn gefurcht haben. WIR vergessen es ganz sicher nie wieder.
Wobei … beim Verzehr eines bestimmten Lebensmittels brechen bei meinem Mann alle Dämme, versagen alle tief gespurten Benimmregeln, übernimmt in Sekundenschnelle das Reptiliengehirn: Es ist die Orange, angesichts derer er sich verhält, als würde der steinzeitliche Fressfeind sie ihm augenblicklich aus der Hand reißen.
Wenn Orangenzeit ist, quillt unser Obstkorb in der Regel über von Früchten, deren Farbe genauso heißt wie sie selbst. Wir investieren in gelegte Orangen, nicht die billigen im Netz, weil die gelegten eine doppelt so dicke Schale haben. Nein, sie schmecken tatsächlich auch besser, und manchmal ist sogar noch ein Blatt dran, was mich zum Träumen anregt im tristen Wintergrau.
Die Handhabung und der Verzehr der Zitrusfrucht folgt bei meinem Mann einem streng choreografierten Ritual: Er nimmt die Orange aus dem Korb, öffnet den Mistkübel (Restmüll, der Ignorant!) und schlägt seine Finger in die Schale, und zwar beim oberen Teil, wo der Stiel normalerweise rauskommt, um sie dann ohne Zuhilfenahme eines Messers abzuschälen. Nun, immer noch lässig an den Mistkübel gelehnt, teilt er die Orange in zwei Hälften. Spätestens jetzt wäre ein Teller hilfreich, bevor die ersten Tropfen den Parkettboden erreichen, aber dazu kommt es nicht, weil er sich nämlich die halbe Orange, so wie sie ist, in den Mund stopft. Da sein Mund „nur“ normal groß ist, muss er ein wenig nachhelfen, um die Luke auch wieder schließen zu können. Der schwierigste Part ist nun, die mundhöhlenfüllende Frucht zwischen die Zähne zu schieben. Auch das gelingt ihm, jedoch nur unter erneutem Öffnen der Luke und Querstellen des Inhalts. Jedesmal, wenn ich dem Orangenschaupiel beiwohne, erinnere ich ihn an seine Vorbildfunktion, dass das wirklich nicht anzuschauen ist, dieses Orangengemetzel, dass man glauben möchte, ihm wachse sogleich ein Alien aus der Backe, während er mich schuldbewusst mit seinen Dackelaugen anschaut, nickt, und in der Sekunde die zweite Hälfte hintennachschiebt. Ich bilde mir ein, dass ihm beim Schluckvorgang immer ein wenig die Augen aus den Höhlen treten. Aber vielleicht ist das nur eine alte Erinnerung an den einen Morgen danach, als er nach einer durchzechten Nacht als erstes Lebensmittel eine GANZE Mandarine (geschält) hinunterwürgte, die sich allerdings in dem Augenblick, als sie in den Alkohol seines Magens plumpste, entschied, wieder umzukehren. In genau dem Aggregatzustand, in dem sie vorher war.
„Ma bitte, Berti“, sage ich dann immer. „Das is ja ekelhaft. Kannst du dir BITTE einen Teller nehmen und kannst du BITTE die Orange/Mandarine wenigstens noch ein Mal teilen? Ich versteh’ Dich nicht, wenn das Dein Sohn…“, und so weiter und so fort.
Schieben. Stopfen. Querstellen, Luke auf und zu, würgen, Augen zu und dann ganz weit auf und danach die Begründung, die einen sprachlos zurücklässt, die eine, die alles erklärt: „Weißt“, sagt er, „Das MUSS ich so machen! Die Orangen bröseln immer so!“
Ihr habt auch so einen Berti/Lotti/Leo zu Hause? Oder seid es selbst? Schreibt mir, gerne veröffentliche ich Eure skurrile Liebeserklärung hier in FROHLOTTE’s Alltagsperlen!
karin.holzer@sternschanze.at