Wenn es weh tut, heilt es!
Liebe Ehemänner und -frauen da draußen! Die Geschichten aus der Reihe “Das (Ehe)Leben ist kein Ponyschlecken” sind eine Liebeserklärung an Euch und Eure skurrilen Marotten. Denn es sind die Brüche in Euren Persönlichkeiten, Eure unvorhersehbaren Handlungen und oft auch unverständlichen Worte, die unserem Alltags(Ehe)grau Farbe verleihen. Wir lieben Euch trotzdem oder vielleicht sogar deshalb. Und umgekehrt - hoffen wir - ist es genauso.
Wenn es weh tut, heilt es!
Prolog:
Berti spürt den Schmerz. Und heisst ihn willkommen.
Mein Mann ist Berufsoptimist. Wäre er Single, würde der Ausspruch “Mein Bett ist halbvoll” aus seiner Feder stammen. Seine Gebrauchsphilosophie erstreckt sich neben halbvollen Betten und Gläsern auch auf Regen, der in Wahrheit geschmolzene Schneeflocken darstellt und Schmerzen, die äußerst begrüssenswert Gutes verheissen, denn sie künden nur von einem: der Heilung.
“Wenn es weh tut, heilt es!” ist der zweite Teil der wunderschönen Trilogie zum Thema Selbstbetrug und erklärt die Hintergründe von Bertis Standardwerk “Wenn es weh tut, heilt es” - nicht.
Wenn es weh tut, heilt es!
Lesezeit: 3 Minuten
Mein Mann ist weltberühmt für Sager, die jeglicher Logik entbehren, durchaus Unterhaltungswert haben und dabei tatsächlich ernst gemeint sind. Das macht sie überaus komisch.
So meint er tatsächlich, dass gegen Halsweh nur eine Wagenladung Wick blau zuckerfrei helfe. Jeder, der schon mal so eine Wagenladung Wick blau zuckerfrei verarbeitet hat, weiß, in welcher Intensität sich das Aspartam seinen Weg aus dem Körper heraus bahnt. Es wirkt also tatsächlich gegen Halsweh, insofern als es die Aufmerksamkeit von der vorderen auf die hintere Körperregion lenkt.
Die zweite von ihm praktizierte Anti-Halsweh-Methode ist, mich in Zeiten der Alkohol-Abstinenz, die wir immer wieder mal einschieben, mit den Worten: „Du Lotti, trink ma heute ausnahmsweise was, weißt, ich hab’ schon so a bissl a Kratzn im Hals, dagegen muss ich sofort was tun“, vom rechten Wege abzubringen. „Mit Bier?“, frage ich dann scheinheilig und er sagt mit aller ihm zur Verfügung stehenden Ernsthaftigkeit: „Na selbstverständlich. Erinnere dich ans letzte Mal, das hilft mir einfach“, wohl wissend, dass ich mich nicht die Spur an das letzte Mal Halsweh erinnern kann. Aber weil ich nicht fad bin und gerne die Feste feiere, wie sie fallen, haben wir jedes Mal, wenn der Hals kratzt, einen entspannten Abend.
Sein Sohn trat übrigens schon im zarten Alter von sieben Jahren in seine jeglicher Logik entbehrenden Fußstapfen und klagte über kalte Knie - nach dem Genuss von Apfelsaft …
In Gesundheitsfragen scheint mein Mann ohnehin Teil eines anderen Universums zu sein, oder seine Welt steht einfach nur Kopf. Ich weiß es nicht, es lässt mich aber jedes Mal verwirrt zurück. So fährt er trotz einer abgebrochenen Bandscheibe, die ihm im Wirbelkanal steckt, Wasserski, stemmt mit Tennisarm hunderte Kilo Gewicht im Kieser Training und fährt nach einem eingerissenen Band im Sprunggelenk (das er sich auf der Flucht vor einer Kuh zugezogen hatte) nicht zum Arzt, sondern zum Skifahren mit seinem Sohn. Er argumentiert, dass der Skischuh perfekt die Funktion einer Schiene übernehme, und verwirft diesen absurden Plan erst, nachdem die Osteopathin seines Vertrauens darauf hinweist, dass der unförmig aufgeschwollene Haxn ohnehin nicht in den Skischuh reinpasse.
Anstelle des Skifahrens geht er daher laufen, zehn Kilometer am Stück. Mehrmals die Woche, selbstverständlich, und bei seiner Rückkehr immer die gleiche Szene: Der Fuß tue so unglaublich weh, aber eh nur die ersten paar Minuten, dann hätte er sich an den Schmerz gewöhnt. Ich werfe ein, dass ich mir den Fuß nur anzuschauen brauche, um zu sehen, dass der für einen wöchentlichen Halbmarathon gänzlich ungeeignet sei, und frage, welcher Teufel ihn reite, immer und immer wieder den Schmerz zu provozieren, um sich anschließend darüber zu wundern. Er sagt: „Lotti, das verstehst Du nicht. Wenn es weh tut, heilt es.“
Wenn es weh tut, heilt es? Wie bitte? Wenn ich mir also einen Nagel in den Kopf ramme und es tut weh, kann ich unbesorgt sein, weil ich weiß, dass es soeben heilt? Oder wenn ich mir mit der elektrischen Gartenschere den kleinen Finger abschneide, keine Sorge. Hauptsache, es tut weh. Weil: dann heilt es! Meine plastischen Vergleiche entlocken ihm nur ein Kopfschütteln, ich übertreibe wie immer maßlos nur für den Gag, das sei natürlich ganz verkürzt dargestellt und konterkariere den tieferen Sinn der dahinter liegenden Philosophie, der man sich auch öffnen könne, wenn man nur wolle. Ich konnte, aber wollte nicht und ich behaupte: er wollte, aber konnte es ebenfalls nicht. Ganz einfach weil es ihn nicht gibt, den tieferen Sinn.
Wie sonst wäre die ausgeprägte Hypochondrie, der er abseits seiner tatsächlichen schwerwiegenden Gebrechen anheim fällt, wenn es ihn irgendwo harmlos zwickt, zu erklären? Da werden aus Zerrungen plötzlich unheilbare Krebsgeschwülste, auch Gehirntumore sind möglich und was sich erst im männlichen Unterleib an Garstigkeiten abspielt, da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Von Heilung also keine Spur. Er schafft es, Unheilbares so real werden zu lassen, dass auch ich mir langsam Sorgen mache. Die ich aber natürlich unter keinen Umständen äußern darf, weil ich sonst bis zur Minute der Untersuchung einen Mann neben mir habe, der allabendlich in der Praxis von Dr. Google aufschlägt und mir hinterher jede Menge Fragen stellt, die auf potenzielle Körperanomalien hinweisen könnten: „Du Lotti, schau Dir amal den Arm/das Bein/die Stelle an - findest Du nicht auch, dass die dicker/blauer/härter ist als die andere?“
Ich habe mir in solchen Situationen angewöhnt, dem leidvollen Blick meines Mannes auszuweichen, flüchtig auf die Stelle zu schauen und ein unempathisches „Nein“ im Vorübergehen fallenzulassen, weil ich ja gerade dringend abwaschen/Wäsche aufhängen/kochen/einfach woanders hingehen muss. So leben wir denn bis zur Entwarnung durch den Spezialisten, dessen Diagnose in besonderen Fällen von einem weiteren Spezialisten nachkontrolliert wird, in einer gewissen Endzeitstimmung und ich muss sagen, so schlecht ist das gar nicht. Denn in Anbetracht des Unvermeidlichen, in Anbetracht des schmerzlichen Verlustes, der irgendwann kommen wird, heilen kleine Alltagsverletzungen … wie von selbst.
Ihr habt auch so einen Berti/Lotti/Leo zu Hause? Oder seid es selbst? Erzählt mir Eure Geschichte, gerne schreibe ich sie auf und veröffentliche Eure skurrile Liebeserklärung hier in FROHLOTTE’s Alltagsperlen!
karin.holzer@sternschanze.at